Presse- und Meinungsfreiheit in Gefahr?

Am 12. November 2018 lud die Amnesty International Gruppe zu Presse- und Meinungsfreiheit Hannover in das Kulturzentrum Pavillon zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Presse- und Meinungsfreiheit ein. Die aktuellen Entwicklungen der letzten Jahre weltweit, aber gerade auch in den Ländern östlich von Deutschland, zeigen Tendenzen hin zur Stärkung populistischen Parteien und Gruppierungen, der Diskreditierung journalistischer Arbeit durch Politik_Innen und der Unterminierung von Demokratien durch Verfassungsänderungen, die die Macht Einzelner stärken. Welche Räume bleiben da noch für die Medien und zivilgesellschaftliche Akteure?
Zusammen mit den Gästen Dr. Gerhard Schüsselbauer (Gesamteuropäisches Studienwerk e.V.), Keno Verseck (Journalist, u.a. für den Spiegel und Cicero) und Andreea Toma (Politikwissenschaftlerin und Mitglied bei Amnesty International Bucharest, Rumänien) diskutierte Moderator Achim Barczok (Amnesty International Gruppe zu Presse- und Meinungsfreiheit Hannover) diese Fragen.

Als Fallbeispiele dienten Ungarn und Rumänien. In Ungarn wird die Demokratie durch die Regierung Orbans immer weiter eingeschränkt, das Justizsystem in den letzten Jahren durch Gesetzesänderungen umgebaut und die Medien immer weiter kontrolliert. Die polnische Regierung scheint sich an Ungarn zu orientieren – auch hier gibt es immer weitere Einschränkungen, die vor allem auch die Medien und das Justizsystem betreffen. In Rumänien wiederum ist das Hauptproblem die hohe Korruption, die durch Gesetzesänderungen immer weitere ausgebaut wird.

Die Situation in Ungarn

Beim Blick auf Ungarn beschrieb Verseck, dass seit der Rückkehr Orbans in die Regierung 2010 das Land und das politische System stark umgekrempelt wurden. Zwar ist es formal immer noch eine Demokratie, aber es bewegt sich immer weiter Richtung Autokratie. So sei es laut Verseck noch möglich, seine Meinung zu äußern, jedoch höre sie niemand mehr; institutionelle Kontrollmechanismen funktionierten nicht mehr, der Raum für unabhängige Medien werde immer kleiner – vor allem für die öffentlich-rechtlichen Medien. Die Regierung selbst mache Politik mit Fake News und Verschwörungstheorien, denen die Bürger_Innen Glauben schenkten, da sie kaum Zugang zu alternativen Informationswegen hätten.

Schüsselbauer erklärte dem Publikum, dass das Wort „liberal“ im Ungarischen inzwischen als ein Schimpfwort gelte. Orban selbst sagte bereits 2014, dass es sein Ziel sei, eine illiberale Demokratie aufzubauen und sich nicht an westliche Regierungsmuster zu halten. Wie ist es zu diesen Entwicklungen in Ungarn gekommen? Schüsselbauer erklärte, dass entscheidende Faktoren Orbans Persönlichkeit, die Transformation und die Globalisierung seien. Ein Drittel der Bevölkerung in Ungarn sei arm, die EU-Erweiterung habe nicht die erhoffte Verbesserung gebracht, zumindest nicht für diese Personengruppe. Orban nutze existierende Probleme in volksverhetzende Weise und wettere gegen das internationale Kapital, den IWF und Großhändler wie Lidl. Das Wort „Republik“ stehe in Ungarn nur noch an einer Stelle in der Verfassung. Verseck fügte hinzu, dass der Staat in Ungarn und in Polen Hauptarbeitgeber sei, weshalb die Menschen immer wieder die Regierungsparteien wählten, da sie finanziell von diesen abhängig seien.

Bezogen auf Polen erklärte Schüsselbauer, dass es hier eine große Spaltung zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung gebe. Es sei die gut situierte Mittelklasse, die demonstrieren gehe. Allerdings verhielte diese sich abschätzig der armen Bevölkerung auf dem Land gegenüber, was zu gegenseitiger Abneigung führte. Die vorhandenen Oppositionsparteien zielten auf diese Mittelklasse und nicht etwa um Sozialprogramme für die Bevölkerung in den Provinzen, weshalb sie dadurch nicht deren Stimmen gewinnen könnten.

Wie steht es um die Pressefreiheit? Verseck, der als Journalist in Ungarn bereits wegen Aufdecken von Missständen auf der Black List stand und so mit Namen und Foto in Zeitungen genannt wurde, erklärte, dass die Konsequenzen für internationale Journalist_Innen „nur“ darin bestünden, „Objekt des Hasses“ zu sein. Für die nationalen Journalist_innen hingegen ist die Existenz bedroht. In Ungarn gebe es inzwischen einige wirtschaftliche Mechanismen, die die finanziellen Kapazitäten von Medien stark einschränkten. Die Medien seien auf Werbeanzeigen angewiesen, die meiste Werbung schaltete jedoch der Staat selbst und dies in der Regel nicht mehr in liberalen Medien. Gleichzeitig trauten sich andere Unternehmen nicht mehr, dort Anzeigen zu platzieren oder ihnen Interviews zu geben, da viele auf Aufträge des Staates angewiesen seien.

Die Medien würden durch diese subtilere Handlung der Regierung zum Schweigen gebracht. Gleichzeitig gab es in Europa auch tätliche Angriffe auf Journalist_Innen, wie etwa bei den Ermordungen des slowakischen Enthüllungs-Journalisten Jan Kuciak und der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia sowie die Verletzung der montenegrinischen Journalistin Oliviera Lakic durch ein Schuss ins Bein. In allen Fällen bestünde der begründete Verdacht, dass Regierungsmitglieder in die jeweiligen Taten involviert seien. Trotz des öffentlichen Drucks gebe es immer noch Journalist_Innen, die in diesen Ländern arbeiten. Jedoch muss sich jede_r selbst überlegen, ob er diesem Druck gewachsen ist.

Die Folge ist laut Gerhard Schüsselbauer, dass reguläre Medien wie Fernsehen kaum noch genutzt werden und die Bevölkerung auf alternative Medienkanäle wie Twitter und Facebook umsteigen.

Schüsselbauer arbeitet vor allem mit Jugendlichen in der Erwachsenenbildung. Wenn man Jugendliche fragte, welche Themen sie besonders beschäftigten, so benannten rumänische Jugendliche die Korruption und die Verworrenheit zwischen Politik und Wirtschaft, polnische Jugendliche die Spaltung der Gesellschaft in Regierungsanhänger und Regierungs“feinde“ –in letzte Gruppe sei man schnell eingeordnet, wenn man sich nicht explizit für die Regierung ausspreche.

Die Situation in Rumänien

Die Lage in Rumänien hingehen ist eine andere. Korruption sei in Rumänien ein systeminherentes Problem und werde von den Bürger_Innen aller Altersstufen als Hauptproblem im Land wahrgenommen, berichtet Andreea Toma. Hierbei wird zwischen Korruption im kleineren und größeren Ausmaße unterschieden. Vererbt von vielen Jahren Diktatur, stünden gegen Bezahlung bessere Leistung in Bezug auf Lebensmittelversorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung zur Verfügung. Das größere Problem sei jedoch die großflächige Korruption, die durch versuchte Gesetzesänderungen entstehe und mächtige Personen begünstige, so Toma. Neben Korruption sei vor allem auch häusliche Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Es gebe zwar entsprechende Gesetzgebung, sie müsse jedoch weiter ausgebaut und konsequenter umgesetzt werden. Ein weiteres Thema im Bereich Menschenrechtsverletzungen sei die starke Diskriminierung der Roma Gemeinschaft, die in jeglicher Erscheinungsform in Rumänien auftrete.

Immerhin, so Toma, sei die Situation der Pressefreiheit in Rumänien längst nicht so beunruhigend wie in Ungarn oder Polen. Pressefreiheit sei verfassungsrechtlich garantiert. Es gebe zwar Interessensgruppen – vor allem im Fernsehen –, die versuchten, politische Sympathien und Bereiche durch falsche Informationen zu beeinflussen, dies gebe es jedoch auch in den meisten anderen europäischen Staaten. Allerdings gebe es auch immer noch viele unabhängige Medien, vor allem online und in den Sozialen Medien.

Rumänien ist ein sehr religiöses Land. So sind über 90% der Bevölkerung Mitglied der orthodoxen Kirche. Dies hat Einfluss auf Themen, die Menschenrechte betreffen, wie die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Wie auch in Deutschland in den Medien berichtet, gibt es trotzdem zivilgesellschaftliche Proteste gegen die korrupte Regierung. So gingen im Sommer 2018 bis zu 500.000 Menschen auf die Straße. Toma kann dies nur gutheißen. Doch leider haben diese nur geringe Auswirkungen auf die Politik – immerhin führten die Proteste zu einer Verlangsamung korruptionsbegünstigender Gesetzgebung. Viele Rumän_Innen, vor allem die jungen, sind mit der Situation ihres Landes so unzufrieden, dass sie auswandern. So sind seit der Jahrhundertwende ungefähr 4 Millionen der 22 Millionen Einwohner_Innen in andere Länder – vor allem innerhalb Europas – ausgewandert.

In wieweit ist die Arbeit von Amnesty in Rumänien durch die politische Lage gestört? Die Amnesty International Gruppe in Rumänien ist sehr klein, weshalb sie in der täglichen Arbeit nicht so großen Problemen begegnet wie es bei größeren NGOs der Fall ist.

Toma berichtete weiter, dass derzeit über eine neue Gesetzgebung unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche entschieden werde, der die Mitteilungspflichten für NGOs gegenüber dem Staat ausbauen soll. So muss zukünftig über jede Spende und jede Ausgabe detailliert berichtet werden. Das geht so weit, dass jede_r Suppenempfänger_in von Suppenküchen erfasst werden muss. Dieser Ausbau der Bürokratie werde laut Toma die Arbeit von NGOs lahmlegen. Die NGOs und die Opposition wehren sich massiv gegen diese neue Gesetzgebung.

Zwischen Hoffnungslosigkeit und vorsichtigem Optimismus

Als Abschluss gaben alle Teilnehmer noch eine Prognose, wie es nun weitergeht. Verseck zeigte sich für Ungarn pessimistisch – eine Abwahl Orbans sei quasi nicht mehr möglich. Gleichzeitig seien ähnliche Entwicklungen in Bulgarien, Serbien und Montenegro zu erkennen.

Schüsselbauer konnte dies nur unterstützen: Er befürchtet bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 eine sehr niedrige Wahlbeteiligung sowie eine Stärkung der extremen Kräfte. Auch für ihn bleibt Orban sicher an der Macht. Für Polen hat er etwas mehr Hoffnung: Hier sieht er einen baldigen Regierungswechsel. In wieweit dies Besserungen bringe, sei jedoch abzuwarten.

Toma zeigte sich hingegen optimistisch. Als Vertreterin für Menschenrechtsbildung möchte sie daran glauben, dass eine immer weitere Aufklärung der Bevölkerung über liberale Werte wie die Menschenrechte zu positiven Entwicklungen führten. In ihrer Arbeit bemerkt sie, dass es immer mehr junge Menschen gebe, die sich für das aktuelle Geschehen interessierten. Dies gäbe Anlass für Hoffnung.

Die Organisator_Innen bedanken sich herzlich bei den drei Podiumsgästen, dem interessierten Publikum und dem Kulturhaus Pavillon für die erfolgreiche Veranstaltung.